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Politische Karrieren von Menschen mit Einwanderungsgeschichte
Trotz einer stetigen Zunahme des Anteils der Menschen mit Migrationshintergrund bleiben diese in den Parlamenten von Bund und Ländern unterrepräsentiert.
21/10/2024
Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund wächst in Deutschland kontinuierlich. Während in der deutschen Bevölkerung mehr als jeder Vierte einen Migrationshintergrund hat, sind es unter den Abgeordneten des Bundestags nur 11,4 Prozent. Größer ist die Diskrepanz in den Landesparlamenten. Dort haben sie einen Anteil von nur 7,3 Prozent, im Bayerischen Landtag sogar nur 3,9 Prozent. HM-Professor Andreas M. Wüst von der Hochschule München und sein Team erforschen in der Studie REPCHANCE der HM und der Robert Bosch Stiftung das Auseinanderklaffen von gesellschaftlicher Realität und politischer Repräsentation.
Ursachen für Unterrepräsentation
„Wir sind im Dialog mit den Abgeordneten der Frage nachgegangen, welche Umstände ihre Karriere ermöglicht haben und welche ihnen im Weg standen“, sagt Wüst. Es sei erstaunlich, dass größere, stark formalisierte Förderprogramme von vielen Befragten kaum genutzt und teils kritisch betrachtet werden. „Viel erfolgsversprechender sind persönliche Mentoring-Beziehungen, die individuell und auf Vertrauensbasis entstehen“, sagt der Forscher.
In 77 Leitfadeninterviews auf allen politischen Ebenen erforschten Wüst und sein Team die Faktoren für parlamentarische Karrieren. Oft trauen sich politisch Interessierte mit Einwanderungsgeschichte nicht zu, für ein Mandat oder Amt zu kandidieren, auch weil detaillierteres Wissen über politische Prozesse unzureichend ist: „Motivation, Mobilisierung und Unterstützung für eine Kandidatur und bei der politischen Arbeit sind für diese Gruppe sehr wichtig“.
Instrumentalisierung und Diskriminierung im politischen Alltag
Seit 1990 steigt der Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund auf Bundes- und Landesebene kontinuierlich an. Trotz der Wahrnehmung einer größeren Offenheit in den jeweiligen Parteien sagt über die Hälfte der befragten Abgeordneten, dass es in der eigenen Fraktion Strukturen und Gewohnheiten gibt, die Personen mit Einwanderungsgeschichte benachteiligten. Personen, die es ins Parlament geschafft haben, berichten, dass sie trotz anderer fachlicher Expertise häufig Migrations- oder Integrationsthemen „zugewiesen“ bekommen.
„Die Parteien müssen sich nachhaltiger als bisher öffnen. Ein wichtiger Schlüssel kann zum Beispiel die Einladung in Netzwerke sein. Funktionsträgerinnen und Funktionsträger in den Parteien tragen eine große Verantwortung für Chancengerechtigkeit und sollten klar machen, dass alle Menschen gleiche Karriere- und Aufstiegschancen haben“, so Wüst.
REPCHANCE
Die REPCHANCE-Studie ist auch als international-vergleichend angelegt. Den nun vorgestellten Befunden für Deutschland werden Analysen für die Niederlande, die Schweiz, Spanien und Großbritannien folgen. Gefördert wurde das deutsche Teilprojekt mit Laufzeit 2021-2024 von der Robert Bosch Stiftung. Mit zusätzlicher Unterstützung der Robert Bosch Stiftung, der Mercator Stiftung Schweiz sowie Porticus konnten im Herbst 2022 vergleichbare Studien in vier weiteren europäischen Ländern finanziert werden. Der Forschungsverbund wird vom deutschen Projektteam um Professor Wüst an der Hochschule München koordiniert. Die Veröffentlichung vergleichender Forschungsergebnisse ist für Frühjahr 2025 geplant.
Andreas M. Wüst
Prof. Dr. Andreas M. Wüst ist seit 2021 Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule München. Nach Studium an der Universität Heidelberg und der University of Delaware (USA) promovierte er 2002 mit einer Arbeit zum Wahlverhalten eingebürgerter Personen an der Universität Heidelberg. Von 2011 bis 2021 war er Referatsleiter in der baden-württembergischen Landesverwaltung. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wahlen und politische Repräsentation, insbesondere von Menschen mit Einwanderungsgeschichte.
Gerne vermitteln wir einen Interviewtermin mit Prof. Dr. Andreas M. Wüst.
Kontakt:
Christiane Taddigs-Hirsch unter Tel 089 1265-1911 oder per Mail .
Veröffentlichung:
Die Studie des Teams um HM-Professor Andreas M. Wüst ist auf der Webseite der Robert-Bosch-Stiftung zu finden und herunterzuladen.